Thrakien, das griechische Drittel der nordöstlich zwischen Bulgarien und der Türkei gelegenen historischen Landschaft, die heute aufgrund politischer Grenzen des frühen 20. Jahrhunderts auf drei Staaten - Griechenland, Bulgarien und (den europäischen Teil der) Türkei - verteilt ist, wird begrenzt durch die beiden in Bulgarien entspringenden und in die Ägäis mündenden Flüsse Nestos und Evros.
Diese entlegene Landschaft war das Reiseziel einer kleinen Reisegruppe fünf deutsch-griechischer Freunde aus Berlin, die sich kurzfristig entschlossen hatten, im Mai in diese ferne und für touristische Begehrlichkeiten eher noch "uninteressante" Region Griechenlands zu reisen. Gewiss wird diese Region nach dem Fall der Grenzsperren zum vormals kommunistischen Bulgarien und nach Entspannung des Verhältnisses zum früheren "Erbfeind" Türkei zu einem normalen südosteuropäischen Durchgangsland werden.
Teile der zur Autobahn E 90 ausgebauten historischen "Via Egnatia" - einer seit Römerzeiten wichtigen West-Ost-Verbindung von Igoumenitsa über Thessaloniki und Alexandroupolis nach Istanbul (Konstantinopel) - sind schon befahrbar, und es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis diese internationale Autobahn-Verbindung von Italien über Griechenland in die Türkei mit Anschlüssen an die "Frühere Jugoslawische Republik Makedonien" und Bulgarien durchgehend fertiggestellt sein wird. Das griechische Thrakien besteht aus den Regionen Evros, die sich von der nördlich gelegenen, historischen Stadt Adrianopel (dem türkischen Edirne) bis nach Alexandroupolis nahe der Flussmündung des Evros erstreckt, der dicht bewaldeten Hochgebirgsregion Rodopi, dem Zentrum des Tabakanbaus Xanthi und der Insel Samothraki, deren weltbekannte, "Geflügelte Nike" im Pariser Louvre steht.
Unser Zielflughafen war Thessaloniki. Das ca. 180 km östlich gelegene Fischerdorf Keramoti, wichtiger Faehrort nach der nur wenige Kilometer entfernten, gegenüberliegenden Insel Thassos, war unser Ausgangsquartier. Von hier aus haben wir mit dem am Flughafen "Makedonia" vorbestellten und für uns bereitstehenden Leihwagen Thrakien während mehrerer Besichtigungstouren bereist.
Keramoti selbst liegt noch auf makedonischen Gebiet der Region Kavala unmittelbar westlich des Mündungsgebietes des aus den bulgarischen Rodopen kommenden und die Berge "durchsägenden" Flusses Nestos, der die Grenze zu Thrakien bildet. Der gesamte Flusslauf des Nestos (wie der des östlichen Evros) ist auf griechischem Staatsgebiet ein sehr sehenswertes, ausgewiesenes "Europäisches Feuchtbiotop-Naturschutz-Gebiet". Natürlich besuchten wir den Unterlauf des Nestos bereits am zweiten Tag unseres Aufenthaltes - am Mittwoch, dem 7. Mai - und besichtigten dessen Naturschönheiten in Form dichter, schattenspendender Auwälder und saftig-grüner Wiesen, indem wir auf den Dammwegen spazieren gingen. Übrigens ist das fruchtbare Delta südlich von Chrissoupoli das größte zusammenhängende Spargelanbaugebiet Griechenlands: Jeder frühe Spargel aus Griechenland auf deutschen Märkten stammt von der "Kooperative NESPAR" (Abkürzung aus Nestos und Spargel). Klar, dass wir uns manches Mal beim Vorüberfahren eine Portion frisch gestochenen Spargel gekauft haben, der abends dann in unserem Ferienquartier zubereitet und mit Appetit verspeist wurde.
Am nächst erreichbaren Wochenende - am Samstag, dem 10. Mai - besuchten wir den Wochenend-Markt in Xanthi, der kleinteiligen und malerischen Altstadt von Xanthi, der Hauptstadt der gleichnamigen Region und den festen Basar in Komotini, dem Verwaltungszentrum der Region Rodopi.
Schon bei der Anfahrt auf Komotini zeigte die Landschaft immer deutlichere Hinweise auf eine moslemische Bevölkerungsmehrheit. Lanzettförmig stachen die Minarette der Dörfer in den blauen Himmel; in dieser Region gibt es offenbar mehr Moscheen als Kirchen. Was wahrscheinlich die wenigsten Menschen in Deutschland wissen: Komotini ist ein "Zentrum islamischen Glaubens" - sogar mit einem eigenen Imam! Man hat die Bevölkerungsumsiedlungen von 1923 nach dem Friedensvertrag von Lausanne im Gedächtnis und glaubt, dass es nach dem Scheitern der "Megali Idea" - eines Groß-Griechenlands unter Einschluss seiner historischen Hauptstadt Konstantinopel und der griechischen Küste Kleinasiens (mit der Ägäis als griechischem Binnenmeer) - sowie nach dem für Griechenland desastroesen Krieg gegen die Türkei, in Griechenland keine Gebiete mit einer gemischten Bevölkerung mehr gebe. Millionen von Menschen machten die Umsiedlungsquoten aus sowohl für die in die Türkei zurückverbrachten Türken aus den neu gewonnenen griechischen Nordprovinzen, als auch für die aus der Türkei umgesiedelten Griechen ins Mutterland, die sich vorzugsweise in den entvölkerten ehemaligen Kriegsgebieten ansiedelten, wo den Bauern unter ihnen vom griechischen Staat Land für den Betrieb einer kleiner Landwirtschaft übereignet wurde.
Das quirlige Markttreiben versammelte ein buntes Völkergemisch bestehend aus Griechen, Pomaken, d.h. Slawen moslemischen Glaubens, und türkischstämmige griechische Staatsbürger sowie bulgarische Händler, die über die Grenze des nahen Nachbarlandes kommend den Markt beschickten. Es verstand sich von selbst, dass ich in Komotini diskret einen mohammedanischen Gottesdienst in der pittoresken Moschee mit schlankem Minarett dieser balkanisch geprägten Stadt besuchte.
Der folgende Sonntag - der 11. Mai - trieb uns in die Berge. Wir fuhren mit unserem Leihwagen kühn in einsame Bergeshöhen der Rodopen bis in Bereiche um 1.800 Meter Höhe. Dort oben blühten gerade erst die Wildkirschen, und auf den Bergplateaus weideten Kühe. In Livadites, einem einsamen Bergdorf nahe der bulgarischen Grenze, kehrten wir mittags ein und hatten eine zünftige griechische Bergmahlzeit mit Käse und Retsina zu uns genommen. Die Abfahrt ging dann durch einsame Waldschluchten dichter Kastanien -, Eichen- und Buchenwälder, an Wasserfällen und Bachläufen vorbei, zurück in die Ebene des Nestos. Die Rodopen-Region ist - von der Flora her gesehen - mitteleuropäisch geprägt: ein völlig "untypisches" Griechenland und glücklicherweise noch nicht touristisch erschlossen - ein Land für ruhesuchende und naturliebende Romantiker!
Am Montag, den12. Mai war dann ein Ruhetag, genutzt für ein behutsames Barfussgehen am kilometerlangen Sandstrand in Keramoti - dabei nach Osten wandernd immer zwei Blickfänge vor Augen: rechterhand die grüne Insel Thassos und linkerhand die alpine Bergkette der Rodopen.
Mittwoch, der 14. Mai, war - leider - für mich wieder ein Reisetag, denn ich musste an den Rückflug nach Berlin denken. Ich fuhr ich mit dem Bus allein zurück nach Thessaloniki, während meine Begleiter ihrerseits noch weiter zur Halbinsel Pilion östlich von Volos fahren wollten. Die frühe Abflugzeit am Donnerstag machte eine Übernachtung in Thessaloniki. Mittags kam ich im riesigen Rund des neuerbauten Omnibus-Bahnhofs in Thessaloniki an. Von dort nahm ich ein Taxi ins Hotel, ruhte mich ein wenig aus, machte mich frisch und besuchte dann nach 18.00 Uhr die "Metropolis" - die "Aghia Sophia" - die sich mir immer (trotz zahlreicher Besuche seit 1998) wegen langwieriger Restaurierungsarbeiten verschlossen gezeigt hatte. Nun endlich konnte ich einmal hineingehen, verweilte dort im Anblick der Kuppelfresken und Ikonen, sprach ein Gebet für mir nahestehende Verstorbene und steckte eine Kerze für sie an.