Nach Tinos wollt Ihr? Da müsst ihr nicht hingehen, dort gibt es Schlangen, der Meltemi bläst einem die Haare vom Kopf und ausserdem ist es dort langweilig.
Stimmt - Schlangen gibt es. Als wir oben vom Parkplatz hinunter auf den schönen Strand von Pachia Ammos blickten, führten etwa 15 m von uns entfernt, aber direkt auf dem Weg der hinunter führt, zwei Schlangen einen eindrucks-vollen Paarungstanz auf. Wie ein Zopf ineinander verdreht, pendelten sie hoch auf-gerichtet hin und her. Es waren recht grosse Schlangen, über einen Meter lang – sicher harmlos (die giftigen seien kleiner, habe ich gelesen). Den Strand habe wir dann trotzdem nicht besucht, ich konnte mein Gattin Sylvia nicht mehr überzeugen, über diesen Weg hinunter an den Strand zu gehen – und sie fand den Strand dann auch gar nicht mehr so schön.
Kein Meltemi – um diese Jahreszeit! Wir waren Anfangs Juni da, der Nordwind Meltemi bläst vor allem im Juli und August. Darum sollte man die Kykladen möglichst nie in der Hochsaison besuchen, nicht nur der Touristen sondern auch des Windes wegen.
Langweilig? Stimmt auch. Im Gegensatz zur Nachbarinsel Mykonos, über die wir per Charterflug angereist waren, war es auf Tinos tatsächlich wohltuend “langweilig“. Als wir in Mykonos das Städtchen anschauen wollten, lagen nämlich gerade zwei riesige Kreuzfahrt-schiffe vor Anker, Typ „hässlicher, schwim-mender Wolkenkratzer“. All die Touristen auf diesen beiden Schiffen wurden ins Städtchen Mykonos gekarrt und quetschten sich durch die Gassen, meist in geführten Gruppen. Wenn sich da die Gruppe 67, bestehend aus ca. 60 Chinesen, mit der Gruppe 78, bestehend aus eben so vielen Spaniern kreuzte, wurde es in den engen Gassen wirklich eng. Das fanden wir zuerst belustigend, langsam aber sicher wurde es mühsam. Zum Glück waren wir nur 1 Tag auf Mykonos, das reicht.
Auf Tinos gibt es so etwas nicht, das Publikum ist hier ganz anders und besteht zum aller-grössten Teil aus Griechen. Abgesehen von den Weekend-Touristen sind das hauptsächlich Pilger. Sie kommen wegen der bekannten Wall-fahrtskirche Panagia Evangelistria, die wegen ihrer wundertätigen Ikone berühmt ist. Im griechisch-orthodoxen Glauben ist Tinos etwa so bedeutend wie Lourdes für die Katholiken - der wichtigste Wallfahrtsort.
Stadt
Vom Hafen von Tinos führt eine breite Prozessionsstraße schnurgerade den Hügel hinauf zur Panagia Evangelistria. Die Strasse wird gesäumt mit Geschäften die Utensilien für die Pilger verkaufen. Das sind vor allem mannshohe Kerzen aber auch Knieschoner für diejenigen Pilger welche die Strecke vom Hafen zur Kirche auf den Knien zurücklegen wollen. Zu 98% handelt es sich allerdings dabei um Pilgerinnen. Die wenigen Männer die dabei sind unter-stützen ihre Frauen die auf den Knien unterwegs sind tatkräftig, indem sie ihnen die Handtasche nebenher tragen.
Wir waren ausgerechnet über Pfingsten auf Tinos, haben aber wohlweislich die Stadt übers Wochenende gemieden und stattdessen mit dem Mietwagen die Insel erforscht. Die Kirche sollte man allerdings unbedingt besichtigen (anständig angezogen, fotografieren verboten). Besonders interessant sind die im hinteren Teil von der Decke hängende Weihgaben, z.T. drei-dimensionale Tamata, darunter ganze Schiffs-modelle aus Silberblech, die Geschichten von wundersamen Rettungen erzählen. Im Unter-geschoss der Kirche ist die heilige Quelle, hier kann man, an ganz ordinären Wasserhähnen, das heilige Wasser abfüllen.
Ebenfall im Untergeschoss gibt es eine kleine Gedenkstätte an das Kriegsschiff Elli: Am 15. August 1940, ausgerechnet während der Feier-lichkeiten zu Mariä Himmelfahrt, torpedierte ein italienisches U-Boot das im Hafen von Tinos ankernde griechische Kriegsschiff Elli und versenkte es. Dies, um der Forderung Mussolinis nach Stützpunkten auf griechischem Boden Nachdruck zu verleihen. Unten am Hafen steht ein Denkmal für die Elli.
Wallfahrtskirche Panagía Evangelístria
Tinos ist die wichtigste Marien-Wallfahrts-stätte Griechenlands und wird oft auch als „das griechische Lourdes“ bezeichnet. Während des ganzen Jahres, vor allem aber am 25. März und zu Mariä Himmelfahrt am 15. August (in Griechenland gesetzlicher Feiertag) strömen mehrere zehntausend Pilger in die Wallfahrtsbasilika der Gottes-Mutter (Panagia Evangelistria), um das wundertätige Marienbild zu verehren.
Im Sommer 1822 soll der orthodoxen Ordens-schwester Pelagia (getauft Lucia) Negreponte vom Kloster Kechrovoúni die heilige Jungfrau im Schlaf erschienen sein.
In diesen Visionen bezeichnete die Gottes-mutter die Stelle am damaligen Stadtrand von Tinos-Stadt, an der man am 30. Januar 1823 eine Marienikone ausgrub. An der Fundstelle wurde im selben Jahr die Wallfahrtsbasilika errichtet. Dem heute mit Edelsteinen besetzen Marienbildnis werden zahlreiche Wunder zugeschrieben, unter anderem das Ende der Pest-Epidemie, die 1823 auf der Insel wütete. Viele weitere Fälle von Wundern und Heilungen wurden seitdem dokumentiert. Schwester Pelagia wurde von der orthodoxen Kirche heiliggesprochen
Dörfer
Tinos ist aber vor allem ausserhalb der Hauptstadt schön. Es gibt ein gut ausgebautes Strassennetz, das die sehr gebirgige Insel Tinos durchzieht. Früher wurde da viel Landwirtschaft getrieben, noch heute sind die steilen Hänge bis ganz oben terrassiert. Es gibt ca. 50 hübsche z.T. sehr kleine Dörfer. In jedem Dorf findet man eine Quelle oder einen Brunnen, wahrscheinlich der Grund wieso das Dorf gerade hier entstanden ist. Alles ist weiss, vieles aus Marmor, denn Tinos ist eine Marmorinsel – dieser wird im Norden bei Pyrgos noch heute abgebaut. Im fast ganz aus Marmor gebauten Dorf Pyrgos leben und arbeiten viele bekannte Bildhauer. Die Ateliers können besucht werden, es gibt auch eine Bild-hauerschule und ein Marmormuseum.
Es ist schwierig, unter den vielen Dörfern eine Auswahl zu treffen. Besonders gefallen hat uns Volax, welches in einer bizarren, von grossen runden Felsbrocken übersäten Landschaft liegt. Das Dorf wirkt sehr traditionell, wenn man Glück hat trifft man sogar noch zwei alte Korbmacher bei der Arbeit.
Auch gefallen hat mir das Dorf Kardiani, ein weisses Dorf unterhalb der Hauptstrasse an steilen Hang gelegen. Fruchtbare Täler an der Seite des Dorfes, Brunnen, Kanäle, Tordurch-gänge und üppige Gärten, genau so wie man sich ein Kykladendorf vorstellt. Es gibt zwei grosse Kirchen im Dorf, die eine orthodox, die andere katholisch. Kardiani ist eines der konfessionell gemischten Dörfer.
Religion
Obwohl Tinos der wichtigste Wall-fahrtsort der orthodoxen Griechen ist, sind fast die Hälfte der rund 10’000 Inselbewohner römisch-katholisch. Tinos ist sogar Bischofssitz, der katholische Bischofspalast steht gut sichtbar im Dorf Xinara (bei den Orthodoxen ist Tinos dem Bischof von Syros unterstellt).
Der grosse Anteil an Katholiken geht auf die lange Zeit der venezianischen Herrschaft zurück. Tinos war, im Gegensatz zu anderen Inseln, direkt Venedig unterstellt. Auf demsteilen Felsen Exombourgo (unbedingt besteigen, grossartige Aussicht) hatten die Venezianer eine befestigte Stadt. Es war die letzte Bastion die erst 1715 im Kampf der Venezianer gegen die Türken fiel.
Die Dörfer im Süden, rings um Exombourgo sind katholisch, diejenigen im Norden sind orthodox und es gibt auch gemischte Dörfer. Das bemerkt man aber nicht, Griechen sind sie alle, die Dörfer sehen alle gleich aus, erst wenn man einen Blick in die Kirche wirft stellt man fest, dass da statt der Ikonenwand ein Kruzifix dasteht. Auf Tinos soll es übrigens rund 1000 Kirchen und Kapellen geben.
Taubenhäuser
Ebenfalls auf die Venezianer zurückzuführen sind die vielen Taubenhäuser, sozusagen die Wahrzeichen von Tinos. 800 bis 1000 soll es auf der Insel geben, die schönsten haben wir bei Kambos gesehen.
Strände
Einige schöne Strände sind westlich der Hauptstadt Tinos Stadt. Weitere, mit Infrastruktur und Verpflegungsmöglichkeiten, findet man bei Panormos und Kolympithra. Tinos ist aber nicht gerade gesegnet mit Traumstränden.
Aber ich will hier das beschreiben, was man nicht in Reiseführern nachlesen kann. Tinos ist nicht unbedingt eine Badeinsel, Tinos sollte man mit dem Mietwagen „erfahren“ und/oder erwandern.
Was hat uns speziell gefallen?
Hier ist man noch wirklich in Griechenland. Wenn man mit seinem rudimentären Griechisch kommt, wird einem noch nicht auf Englisch geantwortet - und hier haben wir wieder einmal Original Griechisch gegessen - wie vor 30 Jahren.
Es lohnt sich sehr, auch einmal abends in eines der Dörfer hinaufzufahren, und z.B. in Ktikados mit Blick hinab auf die Stadt und hinüber auf die Lichter von Syros ein „Katziki lemonato sto fourno“ zu essen.
Wie kommt man hin?
Tinos hat gute Schiffs-verbindungen mit Piräus und Rafina und wird mehrmals täglich von dort angefahren. Mit den neuen Hochgeschwindigkeitsfähren ist Tinos von Piräus in nur zwei Stunden zu erreichen.
Tinos hat keinen Flughafen. Von der Schweiz aus führt der angenehmste Weg nach Tinos wohl mittels Charterflug via Mykonos.
Tinos kann man auch pauschal buchen, z. B. bei Sierramar und Laros-Reisen. Interessant ist natürlich die Kombination mit einer der Nach-barinseln Andros oder Syros.