Unser Weg führte uns nach Toxotes, dem kleinen fast verschlafenen Ort in Thrakien, der einen Bahnhof besitzt, der an Karl May erinnert und an eine längst vergessene Zeit. Ein kleines verwittertes Häuschen aus verwunschener Epoche, dessen Farbe abblätterte, erinnerte an Glanzzeiten, an die man sich hier gerne zurückerinnert. Weit und breit gab es nichts außer den Bahnschienen und das alte Bahnhäuschen. In der Luft hang der Duft von wildem Oregano. Wir suchten vergeblich einen Fahrplan, es gab keinen. Also warteten wir, irgendwann würde der Zug hier vorbeikommen. Irgendwann.
Als wir aus der Ferne das Heulen des Zuges über die Gleise vernahmen, stellten wir uns mutig an die Schienen, Abgrenzungen gab es nicht. Mit lautem Quietschen hielt der Zug, der wie aus dem letzten Jahrhundert daherkam. Das Abenteuer auf den Spuren des Nestos konnte beginnen, wobei wir keine Ahnung hatten, was überhaupt auf uns zukommen und wie wir wieder zurückkommen würden. Egal. Die Spannung stieg und somit unsere Neugier auf die Bahnfahrt durch die bizarre Bergwelt, durch die sich der Nestos seinen Weg bahnte, um über die Grenze nach Bulgarien über die Rhodopen zu verschwinden. Die Türen sprangen auf, ein Schaffner rief lautstark "Stavroupolis" und ließ seine Pfeife erklingen. Wir stiegen ein. Der rundliche Schaffner eilte uns schon im Gang entgegen, während die Augen aller Gäste des beinahe mittelalterlichen Zuges auf uns gerichtet waren, manche standen sogar auf, um uns zu sehen. Wir mussten lachen, soviel Aufmerksamkeit hatten wir nicht erwartet. Nikos, so hieß der Schaffner, begrüßte uns und stellte umgehend die Frage, ob wir nicht erster Klasse reisen möchten. Wir nickten einstimmig und trotteten hinter ihm her durch das Abteil, während uns alle Insassen anstarrten als kämen wir aus einer anderen Welt. Erste Klasse. Die Fahrt würde ca. 45 Minuten dauern und 1,50 EURO kosten, ob uns das recht sei, erkundigte der freundliche Schaffner sich noch, bevor wir Platz nahmen. Wir nickten einstimmig und zahlten. Neugierig wie alle Griechen, wollte er wissen, woher wir stammten und erzählte umgehend, dass er Verwandte hätte in München, aber nie über die Grenze dieser Bergwelt hinauskam. So kamen wir ins Gespräch, während der Zug sich seinen beschwerlichen Weg bahnte immer in Blicknähe des Nestos. Der Zug schnaufte sich die Berge der Rhodopen hinauf und verschaffte uns einen unglaublichen Blick auf den Nestos, der sich hier durch die menschenleere Gegend in der Tiefe zwischen den Bergen schlängelte wie eine Schlange. Einen Teil dieser Strecke legte vor ewigen Zeiten der berühmte Orient-Express hinter sich, bevor er laut tosend in Konstantinopel einfuhr, um dort Gelehrte, Kaufleute oder Weltenbummler auf der Suche nach den letzten Abenteuern aussteigen zu lassen. Der Blick aus dem Fenster in die wilde menschenleere Gegend hatte auch heute noch etwas Nostalgisches an sich und ließ die Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Immer wieder tuckerten wir durch enge Tunnel, die den Weg frei machten durch bewaldete Berghügel, um dann den Nestos wieder zu erblicken, wie er sich durch die dicht bewaldete Gegend seinen Weg bahnte. Der Duft von Freiheit hang in der Luft und verschmolz mit den Düften der Bergkräuter. Der Nestos wurde zu unserem stillen Begleiter mit seiner seltsam grünen Farbe, als hätte man ihn eingefärbt. Ein Blick aus dem Fenster schickte uns auf die Reise in eine Märchenwelt mit der Endstation Stavroupolis, dort wollten wir aussteigen. Der Zug hielt nirgends an und wir hatten auch keine Vorstellung, wann wir überhaupt aussteigen mussten.
Als wir den kleinen Bahnhof von Stavroupolis erreichten, kam Nikos zu uns und begleitete uns zum Ausgang. Hier sollten wir aussteigen. Einen Moment kam Wehmut auf, gerne wäre ich mit dem Zug der Züge bis Konstantinopel gefahren ...