In Michael Pfrommers Buch über Alexander den Großen geht es um Märchen und Legenden - und um ihr Spiegelbild in der Kunst der Antike auf den Spuren eines Mythos.
Bücher zur historischen Bedeutung von Alexander dem Großen gibt es bereits sehr viele. Michael Pfrommer, Professor für Klassische Archäologie an der Universität Trier, begibt sich deshalb in seinem lesenswerten Buch über Alexander den Großen, das in der Reihe „Zaberns Bildbände zur Archäologie“ im Verlag Philipp von Zabern Mainz erschienen ist, auf die Spuren eines Mythos - eines Menschen, der schon zu Lebzeiten zur Legende wurde und der Öffentlichkeit und Wissenschaft bis heute fasziniert. Alexander der Große (356-323 v. Chr.), Sohn Philipps II. von Makedonien und Olympias, einer epirotischen Königstochter, Schüler des Aristoteles, war mit dreiunddreißig Jahren König eines Reiches, das von den Grenzen Indiens bis nach Griechenland und von Ägypten bis nach Zentralasien reichte.
„Der König war der Herr der Schlachten, der unbesiegbare Ritter, der im Felde niemals versagte. Ein Mann, der stets voranritt, sobald es ans Sterben ging, ein Kämpfer, der an der Spitze seiner Reiter Geschichte schrieb. Er war ein gewalttätiger Mensch und stürmte durch ein gewaltsames Leben - mit einem Touch von Noblesse. Skrupellosigkeit war ihm nicht fremd und Mord an Freunden nicht ausgeschlossen. Ein gebildeter Mann, ein charismatischer Führer, der mit seiner Galanterie verblüffte und verwirrte. Er war ein begnadeter Selbstdarsteller, ein ,Medientyp’, eine fleischgewordene Hollywoodlegende, die menschlichen Maßstäben zu entgleiten scheint - Lichtgestalt und Monster in einem“, schreibt Michael Pfrommer. Für die Antike war der König Realität und Märchen in einem, für die Nachwelt unerreichbares Vorbild. Sein schier unglaubliches Leben blieb eine permanente Herausforderung für Kaiser und Könige - von Augustus über Ludwig XIV. bis Napoleon. Michael Pfrommer geht es in seinem reich bebilderten Buch nicht um die historische Wahrheit, sondern um Märchen und Legenden und um ihr Spiegelbild in der Antike. Das Leben Alexanders habe die Kunst vieler Epochen inspiriert, faszinierte das Mittelalter, die Renaissance oder den Klassizismus, so lebe manche Epoche seines Wirkens heute vor allem in den Illustrationen des Mittelalters, in den Werken eines LeBrun, eines Altdorfer, eines Thorvaldsen. Pfrommer: „Auch wenn die nachantike Rezeption nicht Thema dieser Zeilen ist, so ist sie doch Teil der Legende und bildhaft präsent, um Lücken zu schließen und um einzuspringen, wenn uns die Antike ein Zeugnis verwehrt.“
Weil schon Alexanders Geburt Legenden umrankt sei, forscht der Autor nach den drei Vätern des Königs: nach einem zaubernden Pharao, nach einem Gott und nach einem Herrscher. Der Verfasser sucht nach dem Grab des Vaters und dem Alexandergrab selbst, gibt Einblicke in die Alexanderromane und begleitet seinen Helden bis an die Grenzen Indiens.
Dabei stellt Michael Pfrommer Strategie und Taktik des Eroberes vor, skizziert Schlachten des großen Reiterführers der Antike. In Statuen und Bildern macht sich der Autor auf die Suche nach dem „Antlitz eines Genies“: „In Alexander tritt uns somit ein bestenfalls mittelgroßer Mann entgegen, mit rötlicher Haut und hellem Haar, durchaus attraktiv, jedoch mit eher weichen Gesichtszügen und großen, etwas schwimmenden Augen. Er trägt das Kinn meist ostentativ erhoben und stets zur linken Schulter hin. Von einem physischen Übermenschen ist der weit entfernt.“ Den Verfasser interessiert der geistige Horizont dieses Machtmenschen und sein Menschenbild. Unter dem Titel „Ritterlich und erbarmungslos“ widmet er dem Verhältnis Alexanders zu den Frauen, das antike wie moderne Historiker beschäftigt hat, ein eigenes Kapitel. Besonders faszinierend sei sein Verhalten, sobald ihm Frauen oder Töchter seiner Gegner in die Hände fielen, stellt der Verfasser fest. So habe er zum Beispiel nach der siegreichen Schlacht von Issos den Frauen der gefangenen persischen Königsfamilie all ihren persönlichen Schmuck zurückgegeben. Pfrommer: „Seine chevalereske Attitüde trug dem König in der Forschung den Verdacht ein, homosexuell zu sein. Verdächtig schien zudem seine an Raserei grenzende Verzweiflung beim Tode Hephaistions.“
Trotz heftiger Widerstände versuchte Alexander der Große, sein Reich durch Verbindung und Ausgleichung persischen und griechisch-makedonischen Wesens zu einer inneren Einheit zu formen. Pfrommer analysiert dieses Ziel: den „Traum von einer multikulturellen Elite, die der König regelrecht züchten wollte“. Doch die Vision einer multikulturellen Welt steht unter einem schlechten Stern. War es Zufall, dass er seine letzte Vision nur kurz überlebte, fragt der Verfasser. Doch eine eindeutige Antwort darauf, ob es tatsächlich ein Komplott, die „Mordsache Alexander“ gab, kann er nicht geben. Alexander stirbt im Juni 323 v. Chr. in Babylon und wird in Alexandria beigesetzt - bereits am Sterbebett des Königs begann der Zerfall seines Reiches und der Zusammenbruch seines Hauses.
Michael Pfrommer: Alexander der Große. Auf den Spuren eines Mythos.
Verlag Philipp von Zabern Mainz.
122 Seiten. 88 Farb-, 41 Schwarzweiß- und 15 Strichabbildungen.