Außerhalb Griechenlandes kannte Karpathos, die zweitgrößte Insel des Dodekanes, etwa hälftig zwischen den viel besuchten Rhodos und Kreta gelegen, lange Zeit kaum einer, und auch für philhellenische Touristen war das eigenwillige und ursprünglich gebliebene Eiland kaum mehr als ein Geheimtipp. Das änderte sich recht schnell im Jahre 1987. Die Nato glaubte damals einen sicheren Stützpunkt im ägäischen Meer zu benötigen und ließ somit auf Karpathos einen Flughafen bauen, der diesen gehobenen Ansprüchen genüge tun sollte. Ein gütiges Schicksal hat es bis heute verhindert, dass das Militär hier jemals in Aktion treten musste, doch die Tatsache, dass nunmehr auf der Insel auch große Jets landen konnten, trug nunmehr dazu bei, dass sich ziemlich schnell ein größerer Touristenstrom in Richtung Karpathos einstellte.
Zunächst aber ließen die Inselbewohner sich durch die Fremden nicht davon abhalten, nach wie vor ihre ursprünglichen Lebensgewohnheiten weiter beizubehalten. Die Besucher wurden eher als Freunde betrachtet, was vielleicht auch daran lag, dass viele der 6.000 Einheimischen in den vergangenen Jahrhunderten wegen der Armut auf Karpathos die Insel verlassen und (überwiegend nach Nordamerika) auswandern mussten. Manche, in der Fremde reich geworden, kehrten hiernach heim, und geben die Freundlichkeit, mit der sie selbst in der Ferne empfangen wurden, gerne zurück.
Was macht denn nun noch heute die Tradition der Insel aus? Besuchen wir, um dies herauszufinden, zunächst einmal Karpathos´ wohl bekanntestes Bergdorf Olympos. Wie ein Freilichtmuseum klebt das große Dorf am felsigen Berg und die 1.400 Olymbites, seine Bewohner, erscheinen in ihren althergebrachten schwarzen Alltagstrachten oder den farbenfrohen festlichen Kostümen in der Tat wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. Seltsam mutet auch für Kundige der neugriechischen Sprache der altmodische Dialekt an, der wohl auf das antike Dorische zurückgeführt werden kann. Erst seit 1980 gibt es in Olympos elektrisches Licht und bis vor etwa 10 Jahren war das Dorf mit dem Rest der Insel nur über eine Schotterpiste verbunden. Immerhin führt nun eine moderne Straße vom Küstenort Diafani nach dort hinauf, die vielen Sommer-Touristen können nun also mit Bussen herauf kutschiert werden. Viel reizvoller ist es indes den ausgezeichnet markierten etwa 8 Km langen Wanderpfad zwischen den beiden Dörfern unter die Füße zu nehmen. Wilden Bergziegen kann man hier ebenso begegnen wie seltenen Echsen, die spezielle Flora bewundern, einige der 44 auf Karpathos bislang bekannten Orchideenarten auffinden oder gar einer der sechs endemischen Pflanzenarten wie Strandflieder, Färberdistel, dem Trifolium Klee oder dem Origanum Vetteri nachspüren. Wieder zurück in Olympos mag sich der Besucher dann an deftigen, traditionellen Speisen gütlich tun oder das dunkel gebackene Brot frisch aus dem holzbefeuerten Backofen genießen. Hohe dekorreiche Ziegenlederstiefel kann man sich im Bergdorf maßgeschneidert anfertigen lassen, nicht ganz billig, so um die 150 bis 200 Euro das Paar, oder die Zambuna, eine Art Dudelsack, als Souvenir käuflich erwerben. Hin und wieder indes, dies sei als ein Wort der Kritik erlaubt, werden die Gebräuche von Olympos in den Sommermonaten allerdings derart zur Schau gestellt, dass sie heute wohl auch das Interesse mit beinhalten, den gut betuchten Touristen ein paar Euro mehr aus der Tasche zu locken.
Das ist aber nicht so, wenn man an den entlegenen Teilen der Insel die Bewohner gar mit ihren kompletten Trachten zum Bad ins Meer steigen sehen kann. Das ist auch nicht der Fall, wenn in einer Mischung aus Musik und Poesie die Mandinades vorgetragen werden. Oder wenn noch heute viele junge Leute auf der Lyra spielen und dazu der Pano Choro, ein einfacher Tanz und eine eigenständige nur auf Karpathos praktizierte Variante des Syrtos eingeübt wird.
Eine Musik, die man nicht auf einen Nenner bringen kann, und die von der herkömmlichen Weise über sehnsüchtige Liebeslieder bis hin zu „schnulzigen“ griechischen Schlagern reicht, hat es uns in diesem Frühjahr 2009 besonders angetan. Es ist die Musik von Giannis Petropoulos, einem vielleicht 50 jährigen Allroundkünstler, der zusammen mit seiner jugendlichen Partnerin zwar „nur“ durch die Tavernen der Inselhauptstadt Pigadia „tingelt“, dabei aber ein so musisches Repertoire entwickelt, dass es alle Herzen rührt. Und wenn seine Partnerin, deren Namen ich leider nicht mehr im Gedächtnis habe, im Stile der jugendlichen Benaria Loi „Myn klais“ singt, fließen tatsächlich bei vielen Zuhörer/Innen die Tränen.
Pigadia passt aus meiner Sicht ganz außerordentlich gut zum Gesamtbild von Karpathos. Es hat zwar nicht unbedingt den „Bilderbuch-Charme“ der Kykladeninseln Santorini, Paros oder Naxos, aber es wirkt in der komplexen Einheit verschieden epochaler Baustile rund um den romantischen Hafen dennoch einfühlsam sich anschmiegend. Richtig gute Tavernen gibt es hier mit tradtioneller griechischer Bauernküche, mit frischem, nicht einmal überteuerten Fisch, mit knusprigen Hähnchen, mit Stifado auf frischen Tomaten und Zwiebeln, und aus allen Küchen duftet es nach Thymian, Oregano oder Knoblauch. In ein paar Ouzerias erhält der Gast nicht nur den obligatorischen griechischen Anisschnaps, sondern ein heute beinahe unüblich gewordenes gutes Meze im bescheidenen Preis inbegriffen. Wenn Sie dann am Abend durch die Sträßchen und Gassen Pigadias schlendern, finden Sie zwar auch den üblichen Touristenkitsch aber auch Alhergebrachtes, Künstlerisches und Kreatives. Vielleicht führt der Weg Sie ja auch zum Art Center des heimischen Malers und Bildhauers Minas Vlahos, der Besuch des Ateliers und der Ausstellung lohnt sich.
Kommen wir nun zu den „dunklen“ Seiten von Pigadia und Karpathos. Auch hier gibt es mittlerweile einige (Gott sei Dank wenige) Zeitgenossen, die gerne so richtig „absahnen“ möchten. Das fängt beim völlig überteuerten Preis für einen lauwarmen Löffel umgerührten Nescafé, der sich Frappée schimpfen soll, an und endet beim Marmor- und Glas Luxus-Hotel-Palast, der am Ortsrand von Pigadia etwa so fehl am Platz ist, wie es die Akropolis in der Lüneburger Heide wäre. Megalomania –Größenwahn- ist dann auch das von Einheimischen und Gästen gleichermaßen benutzte Wort, wenn sie an diesem Strandmonster vorbeimarschieren. In solches Umfeld passt es dann auch, dass zwischen Pigadia und dem Badeort Amopi ein gigantischer Golfpark entstehen soll, der weitere Milliardäre aus der ganzen Welt auf die Insel locken soll.
Kehren wir dann doch lieber wieder zurück zu den guten Traditionen. Bekannt ist das Fest der sieben Tage, weil die Inselbewohner die Sieben als die stärkste aller Zahlen ansehen. Berühmt
sind die Hochzeiten, bei denen die Frauen weiße, kunstvoll bestickte Hemdem tragen mit einem schwarzen Schal über dem Kopf, der von goldfarbenem Band gehalten wird. Auch heute kann es noch passieren, dass Sie spontan eingeladen werden, wenn sie zufällig einer Hochzeitsfeier begegnen. Indes nicht die ganzen 15 Tage, denn solange kann auch in unserer Zeit ein solches Fest noch dauern.
Griechenlandliebhaber werden wissen, dass man über die landschaftlichen Schönheiten der Ägäis-Inselwelt ganze Bücher schreiben könnte. Hier wollen wir demnach auch nur ein paar spezielle Karpathos-Höhepunkte zusammenfassen. Über Olympos haben wir ausführlicher berichtet, erwähnenswert sind aber auch die Bergdörfer Aperi, Volada, Othos, Menetes oder Spoa. Herrliche Strände und Badebuchten gibt es bei Amopi, Apella, Finiki oder der berühmten Kira Panagia. Und wenn in der nahe beim Flughafen gelegenen Afiartis Bucht Mistral und Meltemi so richtig viel Wind machen, finden die Surfer vom Anfänger bis hin zum Profi hier ideale Bedingungen. Wer lieber wandert, dem sei auch nicht verschwiegen, dass Karpathos ein natürliches Wanderparadies ist. Neu ist dabei, dass es etwa 15 gut ausgeschilderte Wanderwege zwischen 4 und 20 Kilometern Länge gibt, immer noch unüblich für Griechenland.
Wer also Karpathos besuchen will, sollte es bald tun. Denn wie beinahe überall auf unserem Kontinent ist auch auf der Dodekanes-Insel das Schöne und Ursprüngliche in großer Gefahr.