Auch für einen Vielgereisten wie mich war die Ankunft auf Griechenlands größter Kykladeninsel Naxos noch eine Überraschung. Nachdem die Propellermaschine der Olympic-Air die 25 Minuten Flugzeit von Athen aus gut hinter sich gebracht und sanft auf der Rollbahn aufgesetzt hatte, suchte ich zunächst einmal nach dem Flughafengebäude. Es entpuppte sich von Größe und Format als eine mittlere Gartenlaube, wobei es nur verwunderte, dass auf den wenigen Quadratmetern tatsächlich ein Kiosk, eine Zollabfertigung und ein minimalistisches Rollband fürs Gepäck untergebracht werden konnten. Später sollte ich erfahren, dass Naxos´ Flughafen inmitten einer trockengelegten, aber immer noch sumpfigen Meeresbucht errichtet wurde und, welch ein Glück, für Starts und Landungen größerer Maschinen somit ungeeignet ist. Der Zustrom von Touristenmassen ist daher eingeschränkt, denn wer die Kykladeninsel besuchen will, wird sich in aller Regel der etwas mühseligeren Passage mit der Fähre vom 103 Seemeilen entfernten Hafen Piräus unterziehen müssen und daher wohl auch etwas mehr Zeit und Ruhe mitbringen. Einer der emsigen Taxifahrer vor der Flughafenlaube brachte mich dann aber nicht nur rasant zu meinem Hotel am Stadtrand der Inselhauptstadt Chora, sondern auch schnell wieder in die Realität des Jahres 2012 zurück. Satte 10 behördlich genehmigte Euro verlangte er für die 1,6 Km lange Kurzstrecke und in mir stiegen wehmütige Erinnerungen auf, wie ich noch vor 12 Jahren die in der Regel wenigstens einstündige Taxifahrt vom alten Athener Flughafen zum Pelopponesbahnhof mit 1.450 griechischen Drachmen honorieren durfte, einem Regelsatz, der heute etwa 4 € 50 entsprechen würde. Auch hier hat, wie überall auf unserem Kontinent, der uns von Politikern sämtlicher Coleur als so segensreich empfohlene (T)Euro, auch ohne die allgegenwärtige aktuelle Krise mit einer Preissteigerungsrate von etlichen hunderten Prozenten wieder gnadenlos zugeschlagen.
Wenden wir uns nun aber erfreulicheren Dingen zu. Chora ist ein Hafenstädtchen, das sogleich erahnen lässt, warum es noch immer so viele Mitteleuropäer ins Land der Hellenen und insbesondere auf deren hunderte einzigartig schöner und doch so verschiedener Inseln zieht. Hier gibt es keine Hotelburgen, die Altstadt, überragt vom venezianischen Kastell, überzeugt auf ihren ansteigenden Sträßchen mit einer gewachsenen Architektur ein- bis dreistöckiger Häuser sowohl verschiedener Epochen als auch im Baustil der Kykladen. Nicht in einem so leuchtend schönen Blau-Weiß wie auf der Nachbarinsel Santorini und schon gar nicht auf Massenunterkünfte getrimmt, wie es auf Rhodos, Kos oder Mykonos immer mehr in Mode kommt, aber einladend. Der „alte Markt“, der sich durch die engen Gässchen zieht, bietet zwar meist „Kitsch und Künste“, doch wer in seine Erkundungstour auch die Nebenstraßen und den Stadtrand einbezieht, kann in manch altem Laden herumstöbern oder in einer herkömmlich-traditionellen Ouzeria ein Gefühl für das Griechenland Mitte bis Ende des vergangenen Jahrhunderts aufleben lassen. Bei der Beschreibung Choras dürfen wir natürlich nicht die Portara vergessen, das Wahrzeichen von Naxos, Das „große Tor“, auf einem Hügel auf der anderen Seite des Hafens sich mächtig emporhebend, ist ein gut erhaltenes Überbleibsel des archaischen unvollendeten Appollon-Tempels aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert und grüßt heute schon von Weitem die Besucher, die sich mit einem der gewaltigen Fährdampfer der Insel nähern.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen die lauschigen Tavernen von Chora, mit ihren süffigen Weinen vom Fass und ihren leckeren Gerichten aus traditioneller Landküche. Hier wird noch vieles angeboten, was weit über Gyros und Souvlaki hinausgeht, und was in den angepassten Restaurants mancher griechischer Städte und vieler Touristeninseln praktisch nicht mehr vorkommt. Herrliche Gemüsegerichte zum Beispiel wie Artischocken in Lemonensoße oder Okra, die allerverschiedensten Bohnensorten, Pasten wie Fava, Humus oder Skordaliá, eine Mischung aus frischem Knolauch und Kartoffelbrei, delikate Hühnchen- oder Lammgerichte. Die Tavernen Kavouri und Nikos Katsayanis am Stadtstrand von Agios Georgios hatten diese Köstlichkeiten ebenso preisgünstig anzubieten wie das Restaurant Kastro unterhalb der Burg. Ein Geheimtipp, den ich indes nur ungern preisgebe, ist die kleine, versteckte Taverne Boutzanzakis, nur durch einen unauffälligen Hintereingang erreichbar. Hat man den aber einmal gefunden, kommt man in einen Raum mit großer, gläserner Theke, aus deren Vitrinen herrlich duftende frischgekochte Speisen aus Töpfen, Tiegeln und Pfannen duften, alles offen anschaubar und doch eifersüchtig bewacht von der Tavernenwirtin „Mutter Poppi“. Und hat man dann einen der ganz wenigen Plätze auf dem Balkon zur Hafenpromenade ergattern können, will man eigentlich nie mehr aufstehen oder irgendwo anders hin.
Naxos ist aber nicht nur Chora. Mit einem der vielen Busse mache ich mich am zeitigen Morgen nach Appollon auf, einem kleinen Fischerdörfchen an der gegenüberliegenden Nordspitze der Insel. Man hat mir gesagt, dass Naxos in weiten Teilen eine gebirgige und felsige Insel sein soll, von Chora aus sind indes nur einige kleiner aussehende Berge auszumachen. Das ändert sich aber schlagartig, als der Bus die Ortschaft Chalki passiert hat und nun das Dörfchen Filoti ansteuert. Zwar ist mit dem Zas oder Zeus die höchste Erhebung der Insel „nur“ 1003 Meter hoch, doch die schroffen und steil emporragenden Felswände vermitteln mir den Eindruck, dass ich mich in hochalpinem Gelände befinde. Ein Wanderparadies! Die meisten der kleinen Gebirgsdörfer haben Kapellen, Klöster, Museen und andere Monumente aufzuweisen, deren Aufzählung in dieser Stimmungsreportage nicht möglich ist, die aber in jedem besseren Reiseführer nachzulesen sind. Unser Busfahrer ist ein Artist. Das Handy mit dem linken Ellbogen irgendwie am Ohr festgeklemmt, in der rechten Hand fast immer eine glimmende Zigarette, manövriert er dennoch anscheinend sicher das schwere Gefährt über die höchstens 5 Meter breite Straße, klaffende Abgründe rechts und links offensichtlich ignorierend. Kein Trip für Sicherheitsfanatiker! Wer jedoch ein Auge für scheinbar senkrecht in die Bergwände eingelassene Dörfer mit uralten Häusern, herausragenden Kirchen, kleinen Viadukten und Brückchen hat oder wer eine noch intakte Flora und Fauna im bizarren Gebirge liebt, kommt voll auf seine Kosten. Appollon, das Ziel der Reise hingegen, ist eher unscheinbar und verlassen, einzige Attraktion der Kuros, eine 15 Meter riesige, liegende Kolossalstatue des gleichnamigen antiken Gottes.
Baden und Schwimmen kann man natürlich auf Naxos auch. Völlig untypisch für griechische Inseln allerdings sind die kilometerlangen Feinsandstrände mit ihren endlos erscheinenden Dünen, die, wären da nicht die subtropischen Nadelhölzer, eher an Nordsee oder friesische Inseln erinnern. Ich gehöre persönlich nicht zu den Menschen, die 6 oder 8 Stunden am Tag in der Sonne braten können und liebe zum Schwimmen eher felsiges Gelände. Agia Anna oder Agios Prokopios, die nächst zu Chora gelegenen Badeorte, konnte ich daher erst auf den zweiten Blick lieben lernen. Schön empfand ich dann indes, dass auf Naxos viele Strände auch für Freunde der Freikörperkultur offen stehen oder diese Spezies dort zumindest geduldet wird.
Naxos muss man erst ein wenig kennen, um es ins Herz zu schließen. Dafür wird es, wenn man auch nur ein paar seiner Naturwunder selbst herausgefunden hat, fast täglich schöner. Ein Platz mehr für Individualisten als für „Neckermann-Reisende“. So tut es mir dann wieder ein wenig weh, als mein Propellerflieger hinter der Flughafenlaube auf meinen Rücktransfer nach Athen wartet. Adios Naxos und „tha jirissó – ich werde wiederkommen !