Keine Angst. Die Überschrift soll zwar provozieren aber es erwartet Sie, liebe(r) Leser(in), hier dennoch kein Boulevard-Zeitschriften-Artikel, wie so häufig in diesem Jahr in Deutschland abgedruckt, wonach alle Griechen faul sind, das Land im Chaos und ungerechtfertigten Streiks versinkt, Vetternwirtschaft und Protektion allgegenwärtig sind und schließlich beinahe jeder Grieche frühzeitig, so um die Fünfzig herum, eine phantastisch hohe Rente auf Kosten der EU erhält. Nichts davon ist wahr!
Vielmehr ist dieser Artikel geschrieben von einem Liebhaber des Landes, der, wenn Freunde einen Fehler nach dem anderen machen, in konstruktiver Form Kritik üben mag, mit dem Ziel als „Unbeteiligter“ vielleicht auf ein paar Dinge aufmerksam zu machen, die man als „Betroffener“ so nicht sieht oder auch nur zu sehen vermag. Viele meiner Lobeshymnen auf dieses herrliche Land finden sich im Internet unter www.griechische-kultur.com, Also, meine lieben griechischen Freunde, hört zu, was ich Euch zu sagen habe, denn ich möchte nicht, dass Ihr Euch den Ast, auf dem Ihr sitzt, endgültig selbst absägt.
Fakt ist wohl, dass der Griechenland-Tourismus von Deutschland aus in den letzten 10 Jahren um bis zu 70% zurückgegangen ist. Fakt ist auch, dass in jedem Jahr die Preise um wenigstens 10% steigen, während im gleichen Zeitraum die Leistungen um einen etwa gleichen Prozentsatz zurückgehen. Im Frühjahr 2010 durfte ich einige Wochen auf der Pythagoras- und Wein-Insel Samos verbringen und im September/Oktober vier Wochen auf der herrlichen Kykladeninsel Naxos. Die „gefühlten“ hier aufgeschriebenen Zahlen sind demnach authentisch und aus „erster Hand“. Bis in den Herbst 2009 kostete auf Samos ein halber Liter Hauswein vom Fass 3 Euro, ähnlich wie auf den meisten griechischen Eilanden mit Ausnahme von exorbitanten Preishochburgen wie Mykonos oder Zakynthos, wo wohl schon seit Jahren die Devise vorherrscht „Es war schon immer etwas teurer einen besonderen Geschmack zu haben“. Dann kam wohl ein „besonders schlauer“ Tavernenbesitzer aus Samos auf die Idee „Kommen nur noch die Hälfte Touristen verdoppeln wir einfach die Preise – dann haben wir weniger Arbeit und dasselbe verdient“. Und so nimmt man nun für den gleichen (guten aber ganz einfachen Wein) eben 6 statt 3 Euro. Ein kleiner Bootstrip zum Nachbarstrand Psili Amos kostete 2003 noch 3, heute aber 10 Euro. Damals war das Boot vollbesetzt, heute schippert der Kapitän zumeist mit drei bis fünf Personen übers schöne blaue Meer. Ähnliches Preis-/Leistungs-Gefüge findet sich auch bei Barbecue- oder Piraten-Bootsausflügen. Und wer gar per Schiff in die nahe Türkei will, von Pythagorion aus nicht einmal eine halbe Seemeile Luftlinie entfernt, dem steht inklusive Hafensteuern auf türkischer und griechischer Seite ein exorbitanter Preis von etwa 90 Euro pro Kopf ins Portemonnaie. Neben den traumhaften Stränden, den einzigartigen Dörfern wie Kokkari oder Pythagorion, den phantastischen Gebirgs-Wandermöglichkeiten und dem strahlend blauen Lichtspiel bei freundlich-warmen Temperaturen, konnte Samos in der Vergangenheit stets mit seiner hervorragenden mediterranen Landküche brillieren. Ob Artischocken in frischer Limonensauce oder gebackene (zuvor in Freilauf gehaltene) saftige Hähnchen mit patates fournos in Wein-, oder Tomatensauce mit Knoblauch angerichtet oder Stifado und Moussaka und viele Leckereien mehr konnte man da genießen. Seitdem Lidl auf Samos den Lebensmittelmarkt „erobert“ hat, gibt es beinahe nur noch Souvlaki-Spieße fertig aus der Tiefkühltruhe, schön billig im Einkauf, ohne große Arbeit in der Mikrowelle „gegart“, und dann ebenso schön teuer aufgetischt.
Wir wechseln die Szene und kommen nach Naxos. Hier ist vieler Orts die Küche noch „echt griechisch“, in Tavernen wie „Paradiso“ und „Manolis“ am Badestrand von Plaka und Agia Anna darüber hinaus vorzüglich und immer noch preiswert. Auch im „Kalia Kardia“, bei „Poppys“, im „Lukullus“ in der Inselhauptstadt Chora oder im „Vialos“ am Ortsstrand Agios Giorgios erwartet den Gast derzeit noch ein ausgezeichnetes Preis-/Leistungsverhältnis. Dafür hapert es auf anderen Gebieten ganz erheblich. Naxos ist, neben dem Verwaltungssitz Syros, die wohl größte und bedeutendste Insel der Kykladen. Über das ägäische Meer ist es eigentlich auch nur ein „Katzensprung“ zu den ebenso einmaligen Eilanden Santorini, Mykonos oder den „kleinen Kykladen“. Fährverbindungen gibt es aber (in akzeptierbarem Maße) nur im Juli und August, ansonsten bleibt der Gast auf der Insel „gefangen“.
Ich komme nun zum Kernpunkt meiner Kritik: Die noch immer unzähligen „Griechenlandliebhaber“ besuchen „ihr Land“ nicht zur „Hochsaison“, sie bevorzugen April/Mai oder den Herbst zwischen September und November. Diesen Gästen, die in der Vergangenheit durch Mundpropaganda dafür sorgten, dass Hellas als Reiseziel über Jahrzehnte als „optimale Delikatesse“ gelten durfte, wird heute beinahe absolut gar nichts mehr geboten. Sie sind allenfalls „geduldet“ und stehen oft vor noch geschlossenen oder bereits winterfest verrammelten Lokalen. Es fahren keine Busse mehr oder noch nicht und mit den Fähr- und Flugverbindungen sieht es nicht besser aus. Also wandern die „guten“ Gäste ab und buchen die benachbarte Türkei oder Zypern, wo ganzjährig der Tourist zumindest freudig empfangen wird.
Oh tempora o mores (welche Zeiten, welche Sitten)! Was ist nur aus der ehemals so gerühmten griechischen Gastfreundschaft geworden? Wo man im wilden Epirus anno 1980 für umgerechnet 60 Pfennige einen dreifachen Ouzo mit Meze (Käse, Wurst, Oliven, Fisch, etc. pp) serviert bekam und sich stundenlang die Geschichten von ehemaligen griechischen „Gastarbeitern“ anhören durfte. Wo die Kinder in den Bergdörfern einem alten VW-Bus hinterher rannten, weil sie so etwas noch nie gesehen hatten. Aus meiner Sicht waren die Griechen niemals arm. Bis zur „Vollmitgliedschaft“ in der EU lebten sie einfach aber zufrieden. Mit dem Euro, und auch schon 10 Jahre zuvor, kam die Gier. Heute gibt es in jedem Bergdorf-Häuschen gigantische Flachbildfernseher und der Strom fällt nur noch stundenweise aus. Der „moderne Grieche“ reitet nicht mehr auf seinem Esel, er nennt eine mittlere Anzahl - seltsamerweise japanischer - Neuwagen, sein eigen. Er hat „keine Zeit mehr“, weil er in seinem „Coffee-Shop“ einen Löffel Nescafé im Warenwert von 4 Cent, in nur 20 Sekunden zu einem Frappée, der hiernach 3 Euro kostet, umarbeiten muss.
Menschen, die ein wenig bewusst mit diesen Dingen umgehen können, empfehle ich nach wie vor, ihre Ferien in Griechenland zu verbringen! Nehmen Sie aber nicht alles Gott gegeben hin! Kritisieren Sie, wo Kritik angebracht ist, eine Sprache, die viele Hellenen verstehen. Und unterstützen Sie solche, die sich bemühen, die wahre griechische Gastfreundschaft immer noch zu sehen. Sollten Sie die Insel Naxos (noch immer empfehlenswert!) besuchen wollen, zum Schluss noch ein kleiner Insider-Tipp. Naxos hat nur einen Mini-Flughafen und ist verhältnismäßig schwer zu erreichen. Nun denn, kalo taxidi – und gute Besserung !
Juli 2012