Der Kambos, ein Bezirk von Chios, ist eine einzigartige historische und kulturelle Einheit Griechenlands, ein Juwel für die Insel der Reeder und des Mastix. Hinter hohen Mauern verbergen sich Orangen und Mandarinen Plantagen, prachtvolle Patrizierhäuser mit Marmortreppen. Doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Die meisten dieser Gebäude sind vor dem Verfall nicht mehr zu retten. Der griechische Staat hat des Öfteren finanzielle Hilfe für die Rettung dieses Kulturerbes zugesagt, doch die Bilder der verlassenen Häuser sprechen für sich.
Chios
Die Insel Chios, der Geburtsort Homers wie es heisst, liegt nahe der kleinasiatischen Küste, südlich von Lesbos und nördlich von Samos. Chios hat eine Bodenfläche von 842 qkm und eine Küstenlänge von 213 km. Der größte Teil der Insel ist bergig mit üppiger Vegetation, doch in den Tälern beherrschen Obstplantagen, Weingärten und die Mastixbäume das Bild. Aus Letzteren wird das wichtigste Inselprodukt erzeugt, das Mastix oder wie die Griechen sagen „Mastiha“.
Geschichte
Kambos, mit seiner fruchtbaren Erde und seinem Wasserreichtum, ist der Stadt Chios benachbart und wurde mit der Besetzung der Insel durch die Genuesen, in den Jahren 1346 bis 1566, gegründet. Die Genuesen (Iustiani) brachten ihre reichen Erfahrungen in der Wirtschaft, im Handel und in der systematischen Kultivierung von Zitrusbäumen mit.
Genuesische Adlige, byzantinische Titelträger und einheimische reiche Kaufmänner, ausgestattet mit Wappen und internationaler Präsenz im Handel, repräsentierten über fünf Jahrhunderte, bis 1822, die starke Gesellschaft der Insel. Im Kambos bauten sie ihre Sommerresidenzen in voller Harmonie mit der Umgebung ihres Lebensraums und Arbeitsplatzes. Im Lauf der Jahrhunderte haben sich diese Adlige durch Hochzeiten untereinander vermischt, genuesische Namen wurden griechisch und manchmal wurden Katholiken zu Orthodoxen. Die bekanntesten diesen Familien sind: Argentis, Mavrokordaton, Rodokanaki, Sigomala, Petrokokkinon, Ralli, Negreponti, Skylitsi, Agelaston, Sgouta, Paspati, Galati, Maksimou und andere. Die Wappen dieser Familien wurden von Genua und den königlichen Familien Europas anerkannt und wurden in dem Buch „Libro d’ Oro de la noblesse de Chios“ aufgeführt.
Chios und der Kambos hatten ihre große wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert. Die schwache Präsenz der Türkischen Herrschaft, der fortwährende Kontakt mit dem Westen und die Anhäufung von Reichtümern sicherten Ruhe und Fortschritt auf der Insel. Die großen Kaufmannsfamilien haben sich auf den Handel mit Seide, Mastix und Zitrusfrüchten in den internationalen Handelszentren Europas spezialisiert und parallel ausgezeichnete Persönlichkeiten der Bildung und der Wissenschaften hervorgebracht.
1822 fand in Chios ein schreckliches Massaker statt, das fast alles Leben auf der Insel auslöschte und Gebäude zerstörte. Die Chioten kämpften gegen die Türken für ihre Unabhängigkeit und der Sultan schickte eine große Flotte unter der Führung des Kommandeurs Kara-Ali, der aber sehr brutal vorging und alles was er fand tötete und zerstörte. Innerhalb kurzer Zeit sank die Einwohnerzahl von ca. 80.000 auf 3.000 Personen.
1881 kam der zweite großer Schlag für Kambos und Chios. Ein schweres Erdbeben zerstörte die Herrschaftshäuser, das, was nach dem Türkenüberfall wiedererrichtet wurde, und zwang die letzten Handelsfamilien, ihr Hab und Gut zu verkaufen und die Insel zu verlassen.
Am 11. November 1912 wurde Chios endlich frei und gemeinsam mit anderen Städten mit Griechenland zusammengeschlossen.
Der Reisende kann heute bei seinem Spaziergang den Kampos neu entdecken, da viele Eigentümer versuchen, mit dem Bewusstsein für die Bedeutung der Erhaltung der Natur, der traditionellen Architektur und dem kulturellen, ihren Residenzen ihre ursprüngliche Form der ersten oder zweiten Bauphase nach 1881 wiederzugeben.
Umgebung
Kambos nennt man auch die ganze Ebene, ein grünes Meer von Orangen-, Mandarinen-, und Zitronenbäumen, im südlichen Teil der Insel gelegen, 7 km lang und 2 km breit. Er wird von zwei Gießbächen durchquert, dem Parthenis am Anfang der Ebene und dem Kokkalas in der Mitte, dem Herz von Kambos, und zahlreichen kleinen Bächen. Heute ist er geteilt durch mittelgroße Obstplantagen, einem labyrinthartigen Straßennetz, kleinen Seitenstraßen und hohen Steinmauern für den Schutz der Zitrusfrüchte, sowie einer Hauptstrasse die durch die Mitte desKambos führt.
Herrschaftshäuser
Den Eingang zum Garten bildet ein imposantes bogenartiges Hoftor in der Nähe der Residenz. Wenn sich das Tor öffnet, fällt der Blick auf einen prachtvollen Kieselsteinfußboden in schwarzweißen Farben, einen großen kunstvoll angelegten Hof mit schönen Alleen, die durch reiche Blumengärten führen. Im Hof stehen riesige Holzziehbrunnen für die Bewässerung, malerische Marmorbrunnen und Marmorzisternen mit Pergola.
Dieses funktionierende Modell, das die Wohnung mit der Produktion eng verbindet, wiederholt sich mit kleineren Abweichungen in jeder Obstplantage der etwa 200 historischen Landgüter.
Die ersten Wohnungen in Kambos waren in der Epoche der Genuesen (14. bis 16. Jahrhundert) Türme mit Verteidigungsmerkmalen. Architektonische Angaben über diese Türme gibt es kaum. Doch Erzählungen von Reisenden berichten von viereckigen Türmen mit kleineren Öffnungen und beweglichen Brücken. Im 17. und 18. Jahrhundert, der Epoche der wirtschaftliche Blüte in der Kambos, wurden diese Türme zu prachtvollen Residenzen umgebaut, die jedoch den Namen „Türme“ weiterführten. Diese wurden mit zwei oder drei Stockwerken gebaut, so dass man eine Aussicht über die Bäume hinweg hatte. Die vielen Steinbrüche des benachbarten Orts Thymiana lieferten den berühmten Tuffstein mit den rotbraunen Farben, mit dem die Residenzen und Steinmauern gebaut wurden.
Die Empfangs-, und Schlafzimmer waren im oberen Stockwerk – mit kunstvoll bemalten Zimmerdecken - und das Erdgeschoss der Residenz wurde als Dienerraum, als Lagerraum oder als Raum, der mit der Produktion der Plantage in Verbindung stand, genutzt.
Obwohl die Architektur und die Struktur der Residenzen eine eindrucksvolle Reihe kombinierter architektonischer Formen und Merkmale der Byzantinischen und Genuesischen Architektur darstellt, hat sie ihre eigene architektonische Tradition. Eine außergewöhnliche Bildhauerkunst, volkstümliche Kunst auf Marmor verzieren Gebäude, Brunnen und Säulen. Wappen am Eingangstor zeigen mit ihrer Originalität den Stand und die Herkunft der Familie.
Nach dem Erdbeben von 1881, das fast alle „Türme“ zerstört hat, wurden am gleichen Platz neue Wohnungen mit einem Stockwerk erbaut. Die gleichen Hoftore, die Kieselsteinfußboden, die Alleen, die Ziehbrunnen und die Marmorzisternen wurden beibehalten. Diese neuen Residenzen, vom gleichen Stein erbaut und an die Umgebung angepasst, bilden die neue architektonische Phase von Kambos und wurden vom griechischen Kulturministerium unter Denkmalschutz gestellt.
Die Bauten der letzte Jahrzehnte sind verschieden in ihrem Aussehen und ohne eine architektonische Tradition. Bis heute konnte man sich nicht einigen auf ein neues architektonisches Modell, das im Kambos die architektonische Tradition weiter führen könnte.
Heute kämpfen viele Familien darum, ihr Erbe zu erhalten. Vom Reichtum, der entstand, als man fünf Orangen für eine goldene türkische Lira nach Russland und ganz Europa exportierte, ist meistens nichts mehr da. In manchen Herrenhäusern wohnen ältere Leute, deren Kinder die Insel verlassen haben, um in den Metropolen zu arbeiten. Sie tragen den Stolz auf die Historie der Familie in sich, aber auch Wehmut darüber, dass die Kosten für die Instandhaltung dieser Herrenhäuser zu hoch sind, als dass eine „normalverdienende“ Familie sie noch tragen könnte. So werden viele Herrenhäuser verkauft.
Viele Eigentümer von Residenzen versuchen in den letzten Jahren mit Liebe zu den traditionellen Werten des Kambos die ursprüngliche Form, die architektonischen Details zu erhalten. Sie geben Hoffnung und Perspektiven für die Zukunft des Kambos. Andere öffnen ihre Residenzen für die Öffentlichkeit und erhalten sie durch den Betrieb von Restaurants und Hotels in edlem Ambiente.
Die am besten erhaltene Residenz ist die von Filippos Argentis. Das als „Argentiko“ bekannte Gut ist wiederhergestellt und gibt Einblicke in die Baukunst, die Architektur der Residenzen von Kambos und Chios.