Der plötzliche Tod von Theo Angelopoulos hat nicht nur das aufgrund der Krise darbende Griechenland tief erschüttert. Auch die internationale Filmwelt zeigte sich vom tragischen Unfalltod des Filmpoeten schockiert. In den letzten Monaten wurde überall auf der Welt mit Sonderveranstaltungen an Angelopoulos und dessen filmisches Werk gedacht. Auch die Internationalen Filmfestspiele von Berlin erinnerten im Rahmen ihrer 62. Ausgabe im vergangenen Februar mit einer Sondervorführung seines vorletzten Films „Trilogia: Die Erde weint“ (2004) an den griechischen Meisterregisseur.
Stille Momente sind eher selten auf den großen Filmfestivals dieser Welt. Zumal in Berlin, wo jeden Februar während der Filmfestspiele Hunderttausende in die zahllosen Filmvorführungen strömen, der Starrummel auf dem Roten Teppich oft massenhysterische Züge annimmt, und gehetzte Geschäftigkeit, die Angst, etwas „Wichtiges“ zu verpassen, und notorische Schlaflosigkeit den Festivalalltag bestimmen. Auch die diesjährige Berlinale (9.-19.2.2012) war eine stressige Angelegenheit und lieferte lautes Getöse und überflüssiges Brimborium im Übermaß. Doch am Abend eines verregneten Februardonnerstags schien die im Festivaltrubel wie im Rausch dahinfließende Zeit kurz mal still zu stehen. In einer schlichten, dem traurigen Anlass angemessenen Veranstaltung nahm sich die Berlinale eine Pause, um an den kürzlich jäh aus dem Leben gerissenen Theo Angelopoulos zu erinnern, an denjenigen Filmemacher, der wie kein anderer die Zeit, zumal die historische, mit seiner imponierenden, unnachahmlichen Bildsprache auf der Kinoleinwand zu bannen vermochte. In Anwesenheit seiner Frau Phoebe Ikonomopoulou, seiner Töchter Eleni und Katerina sowie seines langjährigen Mitarbeiters und engen Freundes Petros Markaris ergriff zunächst Berlinale-Direktor Dieter Kosslick das Wort. Er erinnerte an sein erstes Treffen mit dem Regisseur Mitte der 1980er Jahre in Hamburg, bei dem er nach der Vorführung von „Landschaft im Nebel“ noch stundenlang mit Angelopoulos über den Zustand und die Perspektiven des europäischen Kinos diskutierte. Damals legte die EU erstmals ein Pro-gramm zur Förderung audiovisueller Werke auf, und Kosslick sollte für eine einschlägige europäische Publikation einen Beitrag verfassen, den er nach dem Gespräch mit Angelopoulos „Landschaft im Nebel“ betitelte. In den letzten drei Jahrzehnten hätte sich der Nebel, der die europäische Filmlandschaft einst verhüllte, zwar verzogen, angesichts der tiefgreifenden Krisenerscheinungen in Europa habe man jedoch bisweilen das Gefühl, die erkämpften Errungenschaften würden einem wie Sand durch die Finger rinnen. Die Schuld an der gegenwärtigen Situation hätten laut Kosslick nicht einzelne Länder oder Menschen, sondern ein Finanz- und Wirtschaftssystem, das in der Gier das Maß aller Dinge sieht. Die vermeintliche ökonomische Krise sei in Kosslicks Augen eine neue Form des Klassenkampfes, bei dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Die Rolle der Kultur, des Films, aber auch von Filmfestivals wie der Berlinale müsse es demgegenüber sein, den Respekt und die Anerkennung der Differenz zu akzentuieren und zur ge-genseitigen Toleranz beizutragen. Es sei, so Kosslick am Ende seiner Re-de, ein herber Verlust, dass Theo Angelopoulos, einer der herausragenden Vertreter des europäischen Autorenkinos, der sich Zeit seines Lebens für ein Kino der nationalen Identität einsetzte, nun nicht mehr unter uns weilt, um diesen Kampf gemeinsam mit uns fortzusetzen.
Sichtlich bewegt, ging daraufhin der Schriftsteller Petros Markaris, langjähriger Drehbuchautor und enger Freund von Angelopoulos, auf dessen Leben und Werk ein. Theo Angelopoulos habe sich in seinen Filmen stets mit der griechischen Geschichte auseinandergesetzt, die er aufs Engste mit der Geschichte des Balkans verbunden sah. Mit der griechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts befasste sich auch seine jüngste Trilogie. Deren ersten beiden Teile, zuletzt „Dust of Time“ im Jahre 2009, wurden bereits auf der Berlinale präsentiert. Dies wird dem geplanten Abschlussfilm der Trilogie, „Das Andere Meer“, mit dem Angelopoulos den Fokus auf die gegenwärtige Krise in Griechenland und Europa richten wollte, nun nicht mehr vergönnt sein. Es sei von einer fast schon absurden Tragik, fuhr Markaris mit belegter Stimme fort, dass Angelopoulos, der die deutsche Besatzung und den Bürgerkrieg überlebt und der seine Filme oft in Krisengebieten unter lebensbedrohlichen Umständen gedreht hat, nun an den Folgen eines vergleichsweise banalen Unfalls in Piräus ums Leben gekommen ist.
„Wenn ich ein Fazit aus Leben und Werk von Theodoros ziehen kann“, so Markaris abschließend, „dann das, dass man mit Talent, Vision und harter Arbeit alle Schwierigkeiten zu überwinden vermag“.