Es ist schon dämmrig, als wir den Weg in Richtung Agios Konstantinos auf der Insel Alonnisos einschlagen. Es ist Ende Mai, die Sommersaison auf der Insel hat noch nicht begonnen, und das Meer unter uns ist frei von Segelbooten.
Plötzlich machen wir den Kopf einer Mönchsrobbe an der glatten Wasseroberfläche aus! Schnell stellen wir das Auto ab und suchen einen günstigen Platz, um das Tier in Ruhe beobachten zu können. Fast eine Stunde lang sitzen wir in ehrfürchtigem Schweigen auf einem Felsen und sehen diesem mittlerweile so selten gewordenen Tier bei der Nahrungssuche zu. Dazu tankt es mit lauten Atemzügen Luft, taucht dann ab, um an dem kurz vorher von Fischern in der Bucht ausgebrachten Stellnetz entlangzuschwimmen und sich Fische aus dem Netz zu holen. Einfacher kann die Nahrungssuche kaum sein!
Aber genau mit diesem Verhalten hat sich die Mönchsrobbe den Zorn der Fischer zugezogen: Schon immer galt die Mönchsrobbe als Konkurrent, da Fisch ihr Hauptnahrungsmittel ist. Als aber in den letzten Jahrzehnten die Netze aufgrund der allgemeinen Überfischung des Mittelmeers immer häufiger leer blieben, wurde dieser Konflikt verschärft und die Mönchsrobbe zunehmend mit Gewehren und Sprengstoff bejagt. Grund genug, sich in abgelegene Regionen zurückzuziehen - unter anderem in den heutigen Meeresnationalpark Nördliche Sporaden, der 1992 vor allem wegen seines Mönchsrobbenvorkommens ausgewiesen wurde.
Die Mittelmeer-Mönchsrobbe ist mit nur noch rund 400 Exemplaren die seltenste marine Säugetierart Europas und gehört weltweit zu den 12 bedrohtesten Tierarten. Ursprünglich im gesamten Mittelmeerraum, dem Schwarzen Meer und Teilen des Atlantik verbreitet, gibt es heute nur noch zwei nennenswerte Verbreitungsschwerpunkte der Mönchsrobbe. Diese liegen im Bereich der Ägäis und an der Atlantikküste im Nordwesten Afrikas.
Szenenwechsel: inzwischen ist es Mitte Juli, das Treiben auf der Insel Alonnisos vergleichsweise hektisch. Immer noch kein Massentourismus, aber die Ende Mai noch so ruhigen Buchten sind mit Booten bevölkert. Die Chance, jetzt eine Mönchsrobbe zu sehen, ist mehr als gering. Im Sommer ziehen sich die menschenscheuen Tiere in die Kernzone des Meeresnationalparks Nördliche Sporaden zurück.
Aber die Insel hat noch viel anderes zu bieten: Bei einer Tour mit einem Segelboot in die frei befahrbaren Zonen des Meeresnationalparks kann man den strahlend blauen Himmel und das glitzernde Meer genießen. Beides bildet einen wunderschönen Kontrast zu den hellen Felsküsten der vielen kleinen und größeren Inseln der Nördliche Sporadengruppe. Die nicht zugänglichen Steilküsten bieten dem seltenen Eleonorenfalken und der Korallenmöwe Brutmöglichkeiten. Häufiger zu sehen sind Kormorane und Krähenscharben. Und anstatt einer Mönchsrobbe begleitet ab und zu auch mal eine Gruppe Streifendelphine das Boot.
Ziel der Tour ist die Insel Kyra Panagia. Von der Anlegestelle aus führt ein steiler Pfad hinauf zum Kloster der Insel, das um 1100 erbaut wurde. Von hier aus hat man bei klarer Sicht einen herrlichen Blick auf andere Inseln des Parks, darunter auch die Insel Piperi in der streng geschützten Kernzone. Wer es gemütlicher möchte, kann in der Zwischenzeit ein Bad in dem kristallklaren Wasser der Bucht nehmen.
Doch der Park ist mehr als Meer: auf der Insel Alonnisos besteht ein gut ausgewiesenes Wanderwegenetz. Rechts und links der insgesamt 14 Wege wächst eine Vielzahl von Pflanzen, und wer sich auskennt, kann Arten entdecken, die man sonst fast nur aus dem Gewürzregal kennt.
Der Meeresnationalpark Nördliche Sporaden wurde mit Zustimmung der Fischer ausgewiesen: die Fischer von Alonnisos verpflichteten sich freiwillig zum Schutz der Mönchsrobbe und erhielten dafür die exklusiven Fischfangrechte in den Gewässern der Nördlichen Sporaden. Ein Modell also, von dem alle Seiten profitieren.
Doch was so vielversprechend begann, droht heute zu kippen: die Unzufriedenheit bei den Fischern wächst, da es in letzter Zeit vermehrt zu Verstößen gegen die Parkverordnung kommt. Immer wieder dringen nachts große Trawler in den Park ein, um von dem Fischreichtum der Gewässer zu profitieren. nd dDie lokalen Fischer fühlen sich betrogen.
Trotz der offiziellen Ausweisung im Jahr 1992 hat der Park nach wie vor weder eine funktionierende Verwaltung noch Personal, das die Einhaltung der Beschränkungen überwacht.
Kein Wunder also, dass die Fischer bei einer so mangelhaften Unterstützung durch den Staat die Lust verlieren, sich an Gesetze zu halten, deren Einhaltung kaum einer kontrolliert.
Da der Meeresnationalpark Nördliche Sporaden langfristig aber nur seinen Zweck erfüllen kann, wenn alle - Fischer, Naturschützer und Politiker - an einem Strang ziehen, ist es wichtig, einen Konsens zwischen diesen Gruppen zu erreichen. Das ist ein Teil der Arbeit der Stiftung Europäisches Naturerbe, die mit diesem Ansatz bereits in vielen Gebieten Europas eine nachhaltige Entwicklung anstoßen und so zum Schutz der einzigartigen Naturschätze Europas beitragen konnte.